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Ein Beitrag von Prof. Dr. Alexander Freys, Partner BVM Berlin

 

Einstweilige Verfügungen sind ein häufig genutztes Rechtsmittel zur vorläufigen Durchsetzung von Rechten und Ansprüchen. Das gilt immer dann, wenn Eile geboten ist, wie das etwa im Presse- und Äußerungsrecht oder im Wettbewerbsrecht z.B. bei Unterlassungs- oder Gegendarstellungsansprüche der Fall ist.  In solchen Verfahren kann ein Anspruchsteller bei Gericht einseitig und ohne Anhörung des Gegners – also im Geheimen – einen Beschluss erwirken, von dem der Gegner dann überhaupt erstmals mit seiner Zustellung durch den Gerichtsvollzieher Kenntnis erlangt. Der Gegner kann anschließend zwar Widerspruch einlegen und in einer folgenden Gerichtsverhandlung rechtliches Gehör erlangen, muss aber bis dahin die einstweilige Verfügung befolgen (z.B.: eine Werbung stoppen oder eine Gegendarstellung veröffentlichen).

Diese Verfahrenspraxis – die von ausländischen Juristen schon immer mit einiger Verwunderung wahrgenommen wurde – hat das Bundesverfassungsgericht nun mit zwei verschiedenen Urteilen (1 BvR 1783/17, 1 BvR 2421/17) deutlich eingebremst:

Im ersten Fall ging es um eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln, durch die dem Recherchenetzwerk „Correctiv“ verboten wurde, bestimmte Informationen über Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit U-Bootverkäufen in das europäische Ausland zu verbreiten. „Correctiv“ war zuvor weder abgemahnt noch vom Gericht über den anschließenden Verfügungsantrag informiert worden.

Der zweite Fall betraf eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg, durch die dem SPIEGEL der Abdruck einer Gegendarstellung aufgegeben wurde. Der SPIEGEL erfuhr von der Verfügung aber erst nach dreimaliger Korrektur des Verfügungsantrags. Außerdem befand sich das Verfügungsverfahren dann schon in der zweiten Instanz, wobei die Richter dem Antragsteller bis dahin mehrfach telefonische Hinweise erteilt hatten, ohne dass der SPIEGEL darüber und über die sich über Monate hinziehende Vorgeschichte informiert worden war.

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Geheimverfahren dieser extremen Art hat das BVerfG nun einen Riegel vorgeschoben. Es hat die beiden geschilderten Verfügungen als  verfassungswidrig beanstandet und eine Verletzung des Rechts auf prozessuale Waffengleichheit festgestellt. Zwar werden „einseitige Verfahren“ auch künftig nicht verboten sein. Den BVerfG-Urteilen lassen sich aber für die Zukunft folgende Grundsätze entnehmen:

  • Vor dem Erlass einer einstweiligen Verfügung ist die Gegenseite grundsätzlich anzuhören. Das kann entweder im gerichtlichen Verfahren (schriftlich oder mündlich) oder aber zuvor im Wege der außergerichtlichen Abmahnung erfolgen.
  • Eine einstweilige Verfügung ohne vorherige Abmahnung oder Anhörung ist grundsätzlich unzulässig.
  • Erteilt ein Gericht in einem laufenden Verfügungsverfahren der anderen – bislang noch nicht informierten – Partei Hinweise, so ist diese andere Partei grundsätzlich davon zu informieren.
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Schließlich bleibt die Frage, ob diese Grundsätze nur für Pressesachen oder auch für andere Rechtgebiete (wie z.B. das Wettbewerbsrecht) gelten. Die beiden Urteile des BVerfG stützen sich ausschließlich auf allgemeine Grundsätze wie das Recht auf prozessuale Waffengleichheit aus Art. 3 und 20 GG und den Gehörsgrundsatz aus Art. 103 GG sowie das Recht auf ein faires Verfahren im Sinne von Art. 6 I der Europäischen Menschrechtskonvention. Es ist daher nicht ansatzweise zu erkennen, dass die beiden Urteile nur das Presserecht betreffen würden. Die vorstehend aufgezeigten Grundsätze sind vielmehr künftig bei allen einstweiligen Verfügungsverfahren zu beachten.

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