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Ein Beitrag von Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Felix Oelkers, Partner BvM Berlin

 

Das Urteil kam mit Ankündigung: Im Januar 2019 hatte ein Generalanwalt des EuGH bereits die Forderung aufgestellt; am 14.05.2019 hat der EuGH entschieden, dass die Arbeitszeiten aller Arbeitnehmer durch deren Arbeitgeber zu dokumentieren seien (EuGH, Urteil vom 14.05.2019 – C 55 /18).

Der EuGH leitet dies zum einen aus der Arbeitszeit-Richtlinie ab (RL 2003/88). Zum anderen ergibt sich die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung aus der Grundrechte-Charta.

EU-Richtlinien wenden sich an die Mitgliedsstaaten. Sie sind ein Auftrag an den nationalen Gesetzgeber, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Das hat Deutschland mit dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) getan. Die Richtlinie eröffnet die Option, dass die wöchentliche maximale Arbeitszeit von 48 Stunden überschritten werden darf. In diesem Fall müssen Überstunden erfasst werden. Der Bundestag hat sich für diese Option entschieden. § 16 Abs. 2 ArbZG schreibt deshalb vor, dass Überstunden zu dokumentieren und die Nachweise zwei Jahre aufzubewahren sind.

Eine generelle Pflicht zur Erfassung aller Arbeitszeiten sieht weder die Richtlinie noch das ArbZG vor. Trotzdem legt der EuGH die Richtlinie jetzt so aus. Er begründet das damit, dass nur so für Arbeitnehmer und die Arbeitnehmervertretungen nachvollziehbar und überprüfbar ist, ob die Ruhezeiten und die maximalen Arbeitszeiten eingehalten werden. Zum Schutz von Vollzeit-Arbeitnehmern müsse deren Arbeitszeit daher dokumentiert werden. Ob dieselbe Pflicht für Teilzeitkräfte besteht, ist fraglich, weil – je nach ihrer wöchentlichen Arbeitszeit – ein geringeres Risiko besteht, dass sie die maximale Arbeitszeit von 48 Stunden / Woche überschreiten. Allerdings sind auch bei Teilzeitkräften die Ruhe- und Pausenzeiten einzuhalten, was dafür spricht, dass sie in die Arbeitszeiterfassung einzubeziehen sind.

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Wie wird die Arbeitszeiterfassung aussehen?

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Laut EuGH müssen die Mitgliedsstaaten und der Arbeitgeber ein „objektives, verlässliches und zugängliches System“ schaffen. Dabei dürfen „die Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs, sogar die Eigenheiten bestimmter Unternehmen, namentlich ihre Größe“ berücksichtigt werden. Der Bundestag hat also eine recht große Freiheit, wie er die Vorgaben aus Straßburg umsetzen wird. Es ist davon auszugehen, dass bestehende tarifliche und betriebliche Arbeitszeitregelungen weitergelten dürfen.

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Wann werden Arbeitgeber verpflichtet sein, die Arbeitszeit zu dokumentieren?

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Alles spricht dafür, dass eine solche Pflicht erst durch eine Änderung des ArbZG entstehen wird. Entscheidungen des EuGH binden neben dem Parlament auch die Gerichte und Behörden der Mitgliedsstaaten. Das könnte zu einer sofortigen Pflicht zur Arbeitszeiterfassung führen. Nur: Wie soll diese Pflicht aussehen? Der EuGH lässt völlig offen, auf welche Art und Weise eine Arbeitszeiterfassung eingeführt werden muss. Weder die Richtlinie, noch das ArbZG enthalten Regelungen zur Arbeitszeiterfassung, die europarechtskonform ausgelegt werden könnten. Die deutschen Gerichte und Behörden müssten eine solche Pflicht in das Gesetz hineinlesen. Das widerspräche jedoch der Gewaltenteilung: Justiz und Administration sollen Recht anwenden, sie dürfen aber kein Recht schaffen. Es ist daher sehr unwahrscheinlich, dass ein deutsches Gericht oder eine Behörde der Arbeitssicherheit jetzt gegen einen Arbeitgeber vorgeht, weil er noch kein Arbeitszeiterfassungssystem hat.

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