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Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) kam überraschend: Am 14.05.2019 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass die Arbeitszeiten aller Arbeitnehmer durch deren Arbeitgeber zu dokumentieren seien. Wir haben berichtet (Blogbeitrag vom 20.05.2019: https://bvm-law.de/de/aktuelles/blog/beitrag/528). 



Das Bundesarbeitsministerium sitzt seitdem an einem Entwurf, wie das Arbeitszeitgesetz geändert werden muss, damit es europarechtskonform ist. Der aktuelle § 16 Abs. 2 ArbZG schreibt vor, dass Überstunden sowie Sonn- und Feiertagsarbeit zu dokumentieren und die Nachweise zwei Jahre aufzubewahren sind. Es gibt aber keine generelle Pflicht, alle Arbeitszeiten zu erfassen. Genau das entschied aber der EuGH. Deshalb muss die nationale Regelung an die europäischen Vorgaben angepasst werden.

Wann das Arbeitszeitgesetz geändert wird, ist noch unklar. Erst Recht, wie diese Änderungen konkret ausfallen werden. Alle hatten sich darauf eingerichtet, dass erst einmal nichts passieren wird.

In dieser Phase hat das BAG – so wie davor der EuGH – entschieden, dass deutsche Arbeitgeber bereits jetzt, also noch vor der Änderung des Arbeitszeitgesetzes, verpflichtet sind, alle Arbeitszeiten zu erfassen (BAG, Beschluss vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21). Das BAG legt das Arbeitszeitgesetz europarechtskonform aus und stützt sich auf §§ 3 Abs. 2 Nr. 1 sowie § 5 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 4 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Dort ist geregelt, dass Arbeitgeber beurteilen müssen, ob und wie gefährlich Arbeitsplätze sind. Eine Gefährdung kann sich laut Gesetz aus der Gestaltung der Arbeitszeit ergeben. Nach dem BAG muss sie daher Teil der Gefährdungsbeurteilung sein. Der Arbeitgeber muss sich so organisieren, dass er den Arbeitsschutz einhalten kann. Bei einer unionsrechtlichen Auslegung ergebe sich daraus die Pflicht jedes Arbeitgebers, die gesamten Arbeitszeiten der Belegschaft zu dokumentieren.

Was bedeutet das für Arbeitgeber in Deutschland?

Bisher konnten sich Arbeitgeber darauf berufen, dass Brüssel und Straßburg weit weg und sie nicht durch europäisches Recht direkt verpflichtet sind. Jetzt hat das höchste deutsche Arbeitsgericht entschieden. Deshalb sollten ab sofort alle Arbeitszeiten erfasst werden. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen entstehen damit schon jetzt betriebliche Abläufe und Routinen. Zum anderen können Aufsichtsbehörden Maßnahmen ergreifen, wenn sie meinen, dass gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen wird. Ab 2026 sollen jährlich mindestens 5 % aller Betriebe von den Landesaufsichtsbehörden kontrolliert werden. So sieht es jedenfalls das Gesetz vor (§ 21 Abs. 1a Satz 2 ArbSchG).



Sind Arbeitnehmer verpflichtet, ihre Arbeitszeiten zu erfassen?

Wenn der Arbeitgeber sie anweist, sind Arbeitnehmer dazu verpflichtet, ihre Arbeitszeiten zu dokumentieren. Das ergibt sich aus § 611a Abs. 1 Satz 2 BGB und § 106 Satz 2 Gewerbeordnung. Außerdem regelt das § 15 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG.

Wie müssen Arbeitszeiten erfasst werden?

Weder der EuGH, noch das BAG machen konkrete Angaben, wie Arbeitszeiten zu dokumentieren sind. Das BAG schreibt, Arbeitgeber müssten „ein System zur Erfassung der von ihren Arbeitnehmern geleisteten täglichen Arbeitszeiten ein[zu]führen, das Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeit einschließlich der Überstunden umfasst.“ ([43]  des Beschlusses).

Wie Arbeitgeber die Arbeitszeiten erfassen (lassen), schreibt auch das BAG nicht vor. Es verweist vielmehr auf den EuGH, der meinte, dass die Arbeitszeiterfassung elektronisch oder auf Papier erfolgen und an die Arbeitnehmer delegiert werden darf. Der EuGH hatte allerdings betont, dass es am Ende der Arbeitgeber sein muss, der die Arbeitszeiterfassung kontrolliert – auch wenn er delegiert. Das BAG verweist ausdrücklich darauf, dass eine abschließende Regelung dem Gesetzgeber vorbehalten ist ([66] des Beschlusses). 

Also gilt: Nichts genaues weiß man nicht  – bis zu einer Änderung des Arbeitszeitgesetzes. Jetzt schon ist aber klar, dass die allgemeine Arbeitszeiterfassung kommen wird und dass Arbeitgeber die erfassten Arbeitszeiten auf irgendeine Art kontrollieren müssen. Eine Vertrauensarbeitszeit wird es wohl auch weiterhin geben, solange der Arbeitgeber seine Kontrollpflichten erfüllt. 

Weitere Informationen bietet das Bundesarbeitsministerium: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/Arbeitsrecht/faq-arbeitszeiterfassung.pdf;jsessionid=D9A8A103838735A52F9C313C223A9436.delivery2-master?__blob=publicationFile&v=3

 

Im Ergebnis gilt:

  • Alle Arbeitszeiten müssen dokumentiert werden
  • Das umfasst Arbeitsbeginn und -ende (konkrete Uhrzeit) sowie die Dauer der Pause(n) (konkrete Uhrzeiten der Pause(n) müssen nicht dokumentiert werden)
  • Arbeitgeber dürfen diese Arbeitszeiterfassung an die Arbeitnehmer delegieren
  • Arbeitgeber müssen am Ende die Dokumentation kontrollieren – egal ob täglich, wöchentlich oder monatlich
  • Die Dokumentation kann durch EDV-Systeme („elektronische Stechkarte“) oder händisch in Dateien (z.B. Excel) oder auf Papier geschehen
  • Bei (vermuteten) Verstößen dürfen und sollen die Landesämter für Arbeitsschutz kontrollieren
  • Schlagworte: Arbeitsrecht, Arbeitszeit, Arbeitszeiterfassung