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Presserecht

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Fake-News über Fake-News?

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Ein Blogger aus Mannheim bezeichnete das Portal "stern.de" als „Nachrichtenfälscher“ und „Fake-News-Produzent“, der "Falschmeldungen zu Propagandazwecken" und "haarsträubenden Fake“  produziere.  Der Stern verklagte daraufhin den Blogger seinerseits wegen Verbreitung von Falschnachrichten. Denn dem Stern werde vorgeworfen, falsche Nachrichten verbreitet zu haben, was wiederum eine falsche Nachricht sei. Der Stern gewann in erster und zweiter Instanz. Der Blogger wurde also verurteilt, die Behauptung zu unterlassen, dass der Stern Falschmeldungen verbreite.
Große Überraschung beim BGH: Dort wird das zweitinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage des Stern abgewiesen. Wie kam es dazu?

Hierzu muss man wissen, dass ein kardinaler Grundsatz unseres Presserechts die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung ist.  Denn das Grundgesetz schützt in besonderer Weise die Meinungsäußerungsfreiheit. Nicht jedoch in gleichem Maße die "Tatsachenverbreitungsfreiheit". Jede unrichtige Tatsachenbehauptungen kann also vor Gericht angegriffen werden, Meinungsäußerungen hingegen nur in extrem beeinträchtigenden Fällen. Die Presse kann also Meinungen ungehindert durch eine etwaige "Richtigkeitskontrolle" verbreiten, muss aber bei Tatsachenbehauptung deren Richtigkeit vorab sehr sorgfältig prüfen und im Streitfall beweisen.

Die somit entscheidende Abgrenzung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung erfolgt in der Praxis durch eine Negativdefinition: Tatsachen sind solche Umstände, die theoretisch beweiszugänglich sind, also mit empirischer Beweisführung zumindest theoretisch überprüfbar sind. Alles andere ist Meinungsäußerung. Um ein Beispiel zu bilden: Das Attribut "rund" ist Tatsachenbehauptung (weil naturwissenschaftlich nachweisbar), das Attribut "rundlich" ist Meinungsäußerung (weil nicht beweisbar).

Die vorstehende Unterscheidung ist regelmäßig Ausgangspunkt der rechtlichen Prüfung von äußerungsrechtlichen Sachverhalten. So hatten die beiden ersten Instanzen im Stern-Fall  - in Anwendung der geschilderten Grundsätze - die angegriffenen Behauptungen  als Tatsachen eingeordnet. Der Vorwurf, der Stern verbreite Fake-News sei beweisbar und damit eine Tatsache. Diese Tatsache habe der Blogger aber nicht bewiesen, weshalb beide erstinstanzliche Gerichte ihn zur Unterlassung verurteilten.

Nicht so der BGH: Er betrachtete den Kontext der Äußerungen. Der Falschmeldungsvorwurf sei erkennbar keine isolierte Tatsachenbehauptung, sondern eine Schlussfolgerung (= Meinungsäußerung) aus bestimmten, im angegriffenen Blog-Bericht zuvor dargelegten Einzelumständen. Der beklagte Blogger habe teilweise wörtlich bestimmte frühere Aussagen des Stern wiedergegeben und dargelegt, warum er sie für einen „Fake“ und für „Propaganda“ hält. Diese Meinungsäußerung sei zulässig gewesen, weil die Meinungsäußerungsfreiheit höher wiege als der Schutz des Stern vor Herabsetzung.

Mit diesem Urteil ergänzt der BGH seine schillernde Rechtsprechung zu Unterlassungsansprüchen in der Presse um eine weitere Facette, die man "faktenorientierte Meinungsäußerung" nennen könnte:  Eine Äußerung kommt zunächst wie eine Tatsachenbehauptung daher, stellt sich aber bei genauer Betrachtung als Werturteil mit konkretem Faktenbezug dar, welches in sehr weitem Umfang zulässig ist. Für die Praxis bedeutet dies: Je mehr eine Tatsachenbehauptung als Schlussfolgerung aus anderen Umständen erscheint, um so eher kann sie als (unangreifbare!) Meinungsäußerung angesehen werden.

BGH v. 10.12.2024, GRUR-RS 2024, 40056